Eine lange Reise
Vom Arbeitskahn zum schwimmenden Wohntraum
Der Schiffskörper wurde 1970 in Mukrena im Harzvorland an der Saale als Wohnschiff gebaut. Teilweise wurden die Stahlplatten traditionell genietet, teilweise geschweißt. Am 20. November 1970 erfolgte die Bauabnahme und das Schiff wurde auf den Namen Peissnitz getauft. Peissnitz ist eine Insel auf der Saale, die mitten in der Stadt Halle liegt. Sie ist ein autofreies Erholungszentrum und die grüne Lunge der Stadt.
Die Peissnitz wurde dem VEB Wasserstrassenbetrieb Magdeburg, BT Halle, zugeteilt und diente dort als Wohnschiff für 4 Personen. Ausgestattet war sie mit drei Zimmern mit insgesamt vier Betten, einer Küche, einem Sozialraum, einem Waschraum und einer Toilette. In jedem Zimmer stand ein Ölofen mit eigenem Abgasrohr. Auf dem Dach war ein Wassertank montiert, aus dem das Wasser nur durch die Schwerkraft in die Leitungen floss. Für die Toilettenspülung wurde Wasser mit einer Handpumpe gefördert. Alle Abwässer flossen ungeklärt außenbords. Das Schiff wurde bei Bedarf von einem Schlepper gezogen. Am Heck war ein kleiner Unterstand, von dem aus es dann mit seinem Heckruder gesteuert wurde.
Bereits 1977 mussten der gesamte Schiffsboden und die Seitenwände bis über die Wasserlinie ersetzt werden, da der alte Stahl durchgerostet war. Die Übergänge zwischen dem Schiffsboden und den Seitenwänden wurden verstärkt. Die Zimmeröfen erhielten neue Rauchrohre, das Ruderblatt wurde erneuert und die Ankerwinde wurde überholt.
1983 wurde in der Küche ein Propangaskocher Typ „Mägdesprung“ aufgestellt und im Dach des Schiffes eine Flaschenanlage für zwei 11 kg-Propangasflaschen eingebaut.
1985 wurde die Peissnitz an den VEB Wasserstrassenbau Berlin übergeben. Dort wurde sie zunächst zum Wohnschubkahn umgebaut. Das Ruder am Heck wurde dazu entfernt, das vormals runde Heck begradigt und mit einer Schubplatte mit zwei immer noch vorhandenen Eisenbahnschienen als Verstärkung versehen. Die Peissnitz konnte nun im Bedarfsfall von einem Schlepper geschoben werden, ein eigener Rudergänger wurde nicht mehr benötigt. Am Bug, dort wo sich jetzt die Bibliothek befindet, wurden eine Dusche und zwei neue Waschbecken installiert. Warmwasser wurde mit einem Elektroboiler erzeugt. Der Dachtank wurde stillgelegt, stattdessen ein 2000 Liter großer Stahltank neben dem Sozialraum aufgestellt. Abwässer fanden immer noch den direkten Weg nach draußen.
Ausgemustert und verkauft
Nach der Wende wurde aus dem VEB Wasserstrassenbau das Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin. Die Peissnitz ging in dessen Verwaltung über und wurde dort 1992 zum letzten Mal schiffstechnisch untersucht. Sie wurde dann außer Betrieb genommen und später nach Rathenow an der Havel in private Hand verkauft.
In Rathenow wurde sie aus dem Wasser genommen und der Schiffskörper von außen sandgestrahlt und mehrlagig mit Kunststoff beschichtet. Sie erhielt eine Dachisolierung und eine neue Dacheindeckung aus Pappe. Dann ruhte der Umbau. Durch die zerschlagenen und verrotteten Fenster eindringendes Regenwasser förderte den Zerfall der Innenausstattung.
Im Jahr 2005 wurde die Peissnitz im Internet zum Verkauf angeboten. Im Frühjahr 2006 wurde sie vom Hoyaer Tierarzt Henning Bossow erworben und trat im Sommer desselben Jahres in einem Schubverband der Ed-Line ihre Reise in die Weser an. Zuerst lag sie in Dörverden und wurde im Sommer 2006 an den Umbauliegeplatz an der Hafeneinfahrt des WSA-Hafens Hoya verbracht.
Zunächst wurde der Schiffskörper komplett entkernt. Alles, was nicht aus Stahl war, wurde ebenso entfernt, wie nicht mehr benötigte Anlagen – etwa Wassertanks. Der Schiffsboden wurde zur Tragfähigkeitserhöhung mit Trägern verstärkt, die alten Fensteröffnungen sämtlich verschlossen und die Stützkonstruktion für das Obergeschoss errichtet. Der Innenraum wurde vollständig sandgestrahlt und mehrlagig beschichtet. Innenwände aus Stahl wurden versetzt und die Dachhaut zur Aufnahme des Obergeschosses geöffnet. Das Obergeschoss war in Hilgermissen neu gebaut worden und kam per Tieflader nach Hoya, um mit einem Kran aufgesetzt zu werden. Mit Hilfe eines weiteren, auf dem Wohnschiff aufgestellten Minikrans konnten die bis zu 330 Kilogramm schweren Seitenträger der Umgänge aufgesetzt und montiert werden. Die Planken der Terrasse und Umgänge bestehen zu 100 Prozent aus verrottungsfestem, glasfaserverstärkten Recyclingkunststoff.
Die Innenisolierung erfolgte mit wasserdichten Polyurethan-Sandwichplatten. Innenseitig wurden sie mit Wandheizungsrohren versehen, ebenso wie die Fußböden, die mit Heizungsrohren ausgestattet wurden. Der Innenausbau erfolgte dann im Trockenbau mit Gipskarton und Fermacellplatten.
Bedingt durch die notwendige 400 Kilometer lange Fahrt nach Hamburg und die dort notwendige Unterquerung der Reesendammbrücke mit 250 Zentimeter Durchfahrtshöhe konnte die endgültige Fertigstellung und auch die Dacheindeckung erst in Hamburg erfolgen. Daher wurde das Obergeschoss mit Bordmitteln in das Wassergeschoss eingesenkt und die Umgänge und alles, was überstand, demontiert und im Wassergeschoss verladen.
Die Geschichte der Peissnitz
Lange Reise über Flüsse und Kanäle
Ein Schubschiff der Reederei Ed-Line schob die Peissnitz dann die Weser aufwärts bis nach Minden, dort wechselte der Schleppzug in den Mittellandkanal, um nahe Braunschweig in den Elbe-Seitenkanal nach Norden einzubiegen. Über das Schiffshebewerk Scharnebeck fuhr der Schubverband bis zur Elbe, um die Peissnitz für einige Tage im Hamburger Hafen abzulegen. Dort wurde sie dann wieder aufgenommen und über das Alsterfleet in das Hamburger Binnenrevier der Alster verbracht und unter der Reesendamm- und vielen anderen Brücken hindurch bis an den jetzigen Liegeplatz bugsiert. Weil das Obergeschoss auch wieder abgesenkt werden könnte, ist die Peissnitz das einzige Hausboot im Eilbekkanal, das seinen Liegeplatz auch wieder verlassen und an eine andere Stelle verlegt werden kann. Allerdings nicht aus eigener Kraft, denn einen Motor hat sie nicht und auch nie besessen.